„Angst, Scham – und ein Sieg“, so überschreibt die Süddeutsche Zeitung ihren Kommentar vom 28. Mai 2018 zum Ergebnis des irischen Referendums gegen das Abtreibungsverbot. Wider Erwarten hat sich eine überwältigende Mehrheit der irischen Bevölkerung gegen das bislang geltende repressive Abtreibungsverbot entschieden – lediglich in einem einzigen County waren die Befürworter*innen des bislang geltenden rigiden Verbots in der Mehrheit. Mit einer solchen Eindeutigkeit hatte wirklich niemand gerechnet.
Im Vergleich dazu wirkt der Beschluss des 121. Deutschen Ärztetags zum §219a, der das aus der Nazizeit stammende sogenannte „Werbeverbot“ für Abtreibungen fortschreiben und frei zugängliche Informationen für ungewollt Schwangere auf den Internet-Seiten von Gynäkolog*innen weiter unter Strafe stellen will, höchst rückständig: Das Selbstbestimmungsrecht der Frau wird vom vorwiegend männlich besetzten Deutschen Ärztetag weiterhin nicht akzeptiert, da der Bedarf an unabhängiger Information der betroffenen Frauen in keiner Weise angenommen wird. Nach wie vor ist der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland strafbewehrt. Tatsache ist außerdem, dass in Deutschland entgegen des gesetzlichen Auftrages keine flächendeckende Versorgung mit Abbruchmöglichkeiten existiert. So gibt es z.B. im Kreis Kleve nur einen Arzt, der Abbrüche durchführt. Dieser ist zudem bereits im Rentenalter; ähnlich ist die Situation in der Großstadt Münster, wo der einzige Kollege, der Abbrüche durchführt, im Sommer 2018 in den Ruhestand gehen wird; er hat keine Nachfolger*in.
Allerdings zeigt ein genauer Blick auf die Homepage der Irish Medical Organisation (IMO), dass die irischen Ärzt*innen den deutschen Ärzt*innen in nichts nachstehen: Die IMO erwartet, dass neben der Vereinfachung des Zugangs von Frauen zu einer Abtreibung auch die „tiefverwurzelten gewissensbedingten Einwände“ der Ärzt*innen zu diesem Thema berücksichtigt werden sollen. (The organisation expects that given the deeply held views which exist on this issue, any legislative proposals will create a regime which facilitates access to abortion services by women while also catering for medical professionals who have deeply held conscientious objections on this matter.)
Wie in Deutschland und anderswo wird das Gewissen der Ärzt*innen gegen die selbstbestimmte Entscheidung der Frau für einen Abbruch in Stellung gebracht. Es steht zu befürchten, dass trotz des überwältigenden Votums der irischen Bevölkerung die Irinnen kaum Ärzt*innen finden werden, die keine „tiefgreifenden Gewissenskonflikte“ ins Spiel bringen. So könnten die Frauen das verbriefte Recht nicht in die Praxis umsetzen und müssten stattdessen auch weiterhin zum Abbruch nach England reisen. Ähnlich könnte die Zukunft auch in der Bundesrepublik aussehen: dass Frauen nur die Option bleibt, für einen Schwangerschaftsabbruch zunehmend weite Wege in Kauf zu nehmen oder gar – wie früher – bis in die Niederlande zu reisen, weil immer weniger Möglichkeiten zum Abbruch vorhanden sind.
Angst und Scham also weiterhin – ein Sieg hingegen? Ja, denn ein entscheidender Schritt auf dem Weg für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und körperliche Selbstbestimmung ist getan. Wann jedoch das Ziel erreicht wird, ist noch ungewiss.
Der vdää und die Ärzt*inneninitiative setzen sich auch weiterhin für die Abschaffung des §219a und die Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes in Deutschland ein.
Dr. Susanne Zickler (Mitglied im Vorstand des vdää)
Christiane von Rauch (für die Ärzt*inneninitiative)