Am 26.04.2019 verstarb der Patient Tonou-Mbobda im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg, nachdem es am 21.04.2019 im Rahmen seines – bis dahin freiwilligen – Aufenthaltes in der dortigen Tagesklinik zum Einsatz von körperlicher Gewalt im Zusammenhang mit einer Zwangsmaßnahme gegen ihn gekommen war. Wir als vdää und Poliklinik Veddel sind schockiert darüber, dass ein Mensch, der sich hilfesuchend an eine Gesundheitseinrichtung wendet, im Rahmen der Behandlung zu Tode kommen konnte. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freunden von Herrn Tonou-Mbobda.
Grundsätzlich und mit Blick auf das Geschehen kritisieren wir die in deutschen Psychiatrien nach wie vor gängigen und im europäischen Vergleich überdurchschnittlich häufig angewendeten Zwangsmaßnahmen (vgl.: Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol; Steinert et al. 2010; Incidence of seclusion and restraint in psychiatric hospitals: a literature review and survey of international trends) mit aller Schärfe. Sie stellen schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte des Einzelnen dar und wirken häufig traumatisierend. Laut Jurand Daszkowski (Patient*innen-Vertreter) können sie zu Selbsttötungen und – wie im vorliegenden Fall zum Tod führen.
Unsere Kritik gilt auch den strukturellen Bedingungen im Gesundheitswesen, die eine Anwendung von Zwangsmaßnahmen begünstigen. Eine personelle Unterversorgung aufgrund eines profitorientiert ausgerichteten Gesundheitssystems begünstigt, dass schwerwiegende Entscheidungen wie die Anwendung von Zwang regelmäßig von unerfahrenem und nicht genug geschultem Personal unter Zeitdruck und ohne eine Möglichkeit der Rücksprache gefällt werden.
In den seltenen Fällen, in denen Zwangsmaßnahmen unabwendbar sind, dürfen diese ausschließlich von medizinischem Personal, keinesfalls von Sicherheitspersonal, durchgeführt werden. Um Zwangsmaßnahmen reduzieren oder vermeiden zu können, bedarf es einer hohen Strukturqualität. Nach Aussage von Arno Deister (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde – DGPPN), bedeutet dies, dass „im Bereich der Psychiatrie ganz besonders hochqualifiziertes Personal, das über genügend Zeit verfügt, um sich um die Patienten zu kümmern, vorhanden sein sollte.“
Mitarbeiter*innen des UKE sollten von der Klinikleitung zu Transparenz und Fehlerkultur ermutigt werden, um beruflichen Existenzängsten und einem immer noch weit verbreiteten Korpsgeist ernsthaft entgegenzuwirken. Ebenso gilt es, ein rassistisch motiviertes Handeln aller Beteiligten auszuschließen. Das einfache Negieren institutionalisierter Rassismen und das Berufen auf einen vermeintlich „schicksalshaften Verlauf“ sind Teil einer Kultur professionalisierten Abwiegelns und stehen in keinem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Geschehens und zu den weiter im Raum stehenden Vorwürfe von Zeug*innen, die unmäßig gewalttätiges Vorgehen der Sicherheitskräfte beschrieben haben. Wir fordern, dass sich der Hamburger Gesundheitsausschuss mit dem Fall beschäftigt und dass eine weiterführende parlamentarische Aufklärung erfolgt.
Der Tod von Herrn Tonou-Mbobda muss für die beteiligten Institutionen und Personen Anlass sein, sich näher mit den oben aufgeführten Themen auseinander zu setzen.
Pressekontakt Poliklinik Veddel, Tobias Filmar, Fon 040 – 285 100 93
Pressekontakt vdää: Dr. Nadja Rakowitz, Fon 0172 185 8023