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Zugang zum Gesundheitswesen für alle

Schon am 24.03.2020 haben ÄRZTE DER WELT mit über 40 mitzeichnenden Organisationen in einem offenen Brief an den Corona-Krisenstab der Bundesregierung ihre tiefe Besorgnis darüber ausgedrückt, dass Hunderttausende in Deutschland keine Möglichkeit haben, sich testen und behandeln zu lassen oder in Quarantäne zu gehen. Illegalisierte Migrant*innen, die auf anonyme Diagnostik und Behandlung angewiesen sind, fürchten, dass ihre Daten an die Ausländerbehörden übermittelt (§ 87 AufenthG) und sie abgeschoben werden. Andere schrecken vor hohen Behandlungskosten zurück und vermeiden Arztbesuche, Untersuchungen oder Tests. Auch zu verlässlichen Informationen in ihrer Sprache über das Coronavirus und die Lungenkrankheit Covid-19 haben viele Menschen keinen Zugang. Sie sind von der Pandemie besonders bedroht. Trotz lokaler, bundesweiter und internationaler Vorstöße, Empfehlungen und breiter medialer Berichterstattung sind in Deutschland bis heute weder Kostenübernahme, Zuständigkeit noch Verfahrensweise für unversicherte Menschen verbindlich geregelt. Das ist grob fahrlässig.

Die Corona-Krise zwingt außerdem zivilgesellschaftliche, oft ehrenamtlich getragene Einrichtungen für Menschen ohne Krankenversicherung, wegen des hohen Ansteckungsrisikos und fehlender Schutzvorkehrungen ihre Sprechstunden zu reduzieren oder gar auszusetzen. Menschen mit chronischer oder akuter Erkrankung bleiben schlichtweg unversorgt. Das hat verheerende gesundheitliche Folgen. Die dramatischen Zustände sprechen unmissverständlich für eine schnelle, bundesweit einheitliche und nachhaltige Lösung!

Wir fordern:

  1. 1. die sofortige, ausnahmslose und dauerhafte Eingliederung von allen unversicherten Menschen in das reguläre, gesetzliche Krankenversicherungssystem unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
  2. 2. die vollständige Abschaffung der Übermittlungspflicht nach § 87 AufenthG.

Auch wenn provisorische Lösungen in der Krise naheliegend scheinen: Der derzeitige Ausnahmezustand akzentuiert nur die Probleme des Normalzustands. Dieser war schon ‚vor Corona’ mangelhaft – und muss dringend an menschenrechtlich bindende Standards angepasst werden. Die Pandemie spitzt tagtägliche Ausgrenzung sowie Entrechtung zu und macht die strukturellen Defizite von bestehenden medizinischen Parallelsystemen sichtbar.

In Deutschland leben hunderttausende illegalisierte Migrant*innen sowie EU-Bürger*innen, die aus der medizinischen Regelversorgung ausgeschlossen sind. Die fatale Konsequenz: Krankheiten werden nicht rechtzeitig erkannt oder behandelt, chronifizieren, verlaufen schwer, enden tödlich. Seit Jahren versuchen ehrenamtliche Initiativen wie die Medibüros und Medinetze, eine Versorgung über freiwillige Ärzt*innen zu organisieren, um das Schlimmste zu verhindern. In den letzten Jahren sind auf lokaler Ebene temporäre Projekte einer Clearingstelle und/oder eines „Anonymisierten Krankenscheins“ erkämpft worden. Weitere Städte und Bundesländer bemühen sich aktuell darum. Diese Schritte sind zu unterstützen, da sie die Situation zumindest vergleichsweise verbessern.

Doch befristete, lokale Projekte oder ehrenamtliche Unterstützung lösen die Probleme nur notdürftig. Sie etablieren lückenhafte Parallelsysteme. Die finanziellen und personellen Ressourcen sind begrenzt und unbeständig. Projekte zur Vergabe „Anonymisierter Krankenscheine“ sind organisatorisch aufwendig und gegebenenfalls kostenintensiv. Ehrenamtliche Initiativen wiederum hängen von Spendengeldern, der Zeit und der Motivation von Freiwilligen ab. In beiden Fällen haben Betroffene anders als gesetzlich Versicherte keinen zuverlässigen und sicheren Zugang zum Gesundheitssystem – und damit zu medizinischer Versorgung.

Dieser Zugang aber muss allen Menschen, die in Deutschland leben, offenstehen: uneingeschränkt und langfristig. Daher fordern wir die gesundheitspolitisch Verantwortlichen dringend auf: Geben Sie mit der Eingliederung in das medizinische Regelsystem unabhängig vom Aufenthaltsstatus sowie mit der Abschaffung von § 87 endlich eine Garantie auf dieses Menschenrecht!

Der offene Brief ist gezeichnet von den Medibüros und Medinetzen Berlin, Bielefeld, Bochum, Bonn, Bremen, Chemnitz, Dortmund, Dresden, Düsseldorf, Erlangen, Freiburg, Gießen, Göttingen, Halle, Hamburg, Hannover, Jena, Karlsruhe, Kiel, Köln, Leipzig, Lübeck, Magdeburg, Mainz, Marburg, Nürnberg/Fürth, Oldenburg, Paderborn, Plauen, Rhein-Neckar, Rostock, Solingen, Tübingen, Würzburg.

Kontakt: info@medibuero.de

  • Die Forderungen werden unterstützt von:
  • Ärzte der Welt e.V.
  • Bundeskommission der Katholischen Betriebsseelsorge
  • Betriebsseelsorge Diözese Rottenburg-Stuttgart
  • Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.)
  • Bundeszahnärztekammer (BZÄK)
  • Café 104 München • Deutsche Aidshilfe e.V.
  • Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e.V.
  • Flüchtlingsrat Berlin e.V.
  • Flüchtlingsrat Brandenburg e.V.
  • Flüchtlingsrat Bremen e.V.
  • Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V.
  • Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz e.V. | Arbeitskreis Asyl
  • Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
  • Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
  • Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW)
  • Kritische Mediziner*innen Freiburg der Fachschaft Medizin (Ofamed)
  • Poliklinik Veddel e.V.
  • Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
  • Solidarity City Berlin
  • Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää)
  • Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP)
  • Vereinigung Demokratische Zahnmedizin
  • Women in Exile e.V.

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