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Ein politischer Fehler- Zur Einführung von Physician Assistants

Von Julian Veelken

Die verstärkte Einführung von Physician Assistants wird Ärzt*innen im Krankenhaus nicht entlasten und die ärztliche Weiterbildung erheblich verschlechtern. Denn was in anderen Ländern mit weniger ökonomisierten Gesundheitswesen ohne Konkurrenz und Preisdruck eine sinnvolle Arbeitsteilung darstellen kann, hat unter den Bedingungen in Deutschland andere Konsequenzen und ist deshalb besonders kritisch zu betrachten.

Ausgangslage

Physician Assistants (PA) sind als eigenständiger Beruf in einigen Ländern fest etabliert. Nach längerer Diskussion ist das Berufsbild jetzt auch in Deutschland eingeführt worden. Ein wesentlicher Schritt zur Akzeptanz war hier die Verabschiedung eines gemeinsamen Papiers der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Jahre 2017. Die Diskussion über den PA ist jedoch keineswegs beendet. Während ärztliche Befürworter des neuen Berufes meinen, dass Ärzt*innen durch PA-Unterstützung für typischere – manche formulieren auch »richtige« – ärztliche Tätigkeiten entlastet würden, begrüßen Vertreter*innen aus der Krankenpflege die zusätzliche akademische Qualifikationsmöglichkeit für Angehörige der Pflegeberufe. Betriebswirt*innen der Krankenhausträger werden ein genaues Auge darauf haben, inwieweit sich durch das neue Berufsbild das Budget für den ärztlichen Dienst reduzieren lässt. Kritiker*innen des neuen Berufsbildes warnen vor einer Reduzierung der Qualifikation des die Patient*innen konkret versorgenden Personals, vor schwerwiegenden negativen Auswirkungen auf die ärztliche Weiterbildung und bestreiten, dass die Einführung der PAs mittelfristig zur Entlastung des ärztlichen Personals führe.

Tätigkeitsbild von Physician Assistants und Ärzt*innen

Der vorliegende Text diskutiert vorwiegend am Beispiel des stationären Sektors die verschiedenen Argumente. Analoge Gesichtspunkte lassen sich aber auch für den ambulanten Sektor problemlos finden. Ausgangspunkt der folgenden Erörterung ist das Tätigkeitsprofil des Physician Assistants, wie es in den Beschreibungen der ausbildenden Hochschulen veröffentlicht ist, denn keine gesetzliche Regelung des Berufsbildes der PA gibt es nicht. Im Informationsflyer der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Karlsruhe wird das Tätigkeitsprofil der PAs wie folgt beschrieben:

  • Mitwirkung bei der Erstellung der Diagnose und des Behandlungsplans
  • Mitwirkung bei komplexen Untersuchungen sowie bei der Durchführung von medizinisch-technischen Tätigkeiten
  • Mitwirkung bei der Ausführung eines Behandlungsplans
  • Mitwirkung bei Eingriffen
  • Mitwirkung bei Notfallbehandlungen
  • Adressatengerechte Kommunikation und Informationsweitergabe
  • Prozessmanagement und Teamkoordination
  • Unterstützung bei der Dokumentation

Beim Lesen dieses Tätigkeitsbildes fällt sofort auf, dass es sich um Tätigkeiten handelt, die heute zu 70 bis 80% von Ärzt*innen in Weiterbildung ausgeführt werden. Der Vorbehalt, dass die Tätigkeit der PAs immer unter ärztlicher Aufsicht zu erfolgen hat, macht diesen Befund nicht besser, da für Ärzt*innen in Weiterbildung ausdrücklich auch gilt, dass deren Tätigkeiten – Stichwort »Facharztstandard« – von erfahrenen (Fach-) Ärzt*innen überwacht und gesteuert werden muss.

Neben Anamneseerhebung und Aufstellung des Therapieplanes verdient der Begriff der »Adressatengerechten Kommunikation und Informationsweitergabe« eine besondere Betrachtung. Hierbei handelt es sich neben dem Austausch mit den anderen Gesundheitsberufen vor allem um die Kommunikation mit den Patient*innen und deren Angehörigen. Das heißt aber bei fehlender Spezifizierung, dass darunter sowohl die Durchführung der ärztlichen Visite fallen kann, als auch die Übermittlung ärztlicher Untersuchungsergebnisse oder auch das Führen des Entlassungsgesprächs. Selbst Aufklärungsgespräche für Operationen oder invasive Prozeduren dürfen von PAs »vorbereitet« werden, was immer »Vorbereiten« hier heißt.

Es ist nach derzeitigem Stand der Diskussion keineswegs abwegig und eher zu erwarten, dass die konkrete Versorgung der Patient*innen einer Station eines Tages hauptsächlich von PAs vorgenommen wird, die in einer Früh- und einer Spätbesprechung jeden Tag an Fach- oder Oberärzt*innen berichten und danach deren Anweisungen und Entscheidungen bei den Patient*innen umsetzen werden.

Als vor einigen Jahren auf breiter Front Dokumentationsassistent*innen für die Diagnosecodierung eingeführt wurden, haben die Controller der Krankenhäuser umgehend ausgerechnet, wieviel ärztliche Arbeitszeit für die Codierung von den Dokumentationskräften übernommen werden kann. Wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass Codierung 10% der ärztlichen Arbeitszeit beansprucht, wird diese ersparte ärztliche Arbeitszeit umgehend auf die ärztlichen Stellenpläne umgelegt. Das heißt, dass eine Abteilung mit zehn ärztlichen Stellen dann eine Stelle, eine Abteilung mit fünf Vollkräften eine halbe ärztliche Stelle verlieren wird. Diese Reduzierung der ärztlichen Stellenpläne ist bei der Einführung der medizinischen Dokumentationsassistent*innen umgehend erfolgt.

Wenn man bedenkt, dass, wie oben ausgeführt, 70% der Tätigkeiten der PA heute von Ärzt*innen in Weiterbildung und auch Stations-Fachärzt*innen erbracht werden, so fällt es schwer, Argumente dagegen zu finden, dass 60 bis 70% dieses ärztlichen Personals in den Stellenplänen durch PAs ersetzt werden können.

Aus ärztlicher Sicht wäre das eine katastrophale Entwicklung, da damit glatt 50% der ärztlichen Stellen einer Abteilung durch PAs ersetzbar sein dürften. Dies hat zur Folge, dass die wenigen übrig bleibenden ärztlichen Kolleg*innen in der Stationsarbeit sich in keiner Weise entlastet fühlen werden, zumal sie dann diejenigen sein werden, die die ärztliche Aufsicht über all dies haben müssen. Insbesondere die Belastung durch Bereitschaftsdienste wird für die verbliebenen ärztlichen Kolleg*innen massiv steigen, da diese von Physician Assistants nicht übernommen werden dürfen.

Wenn die von den PAs übernommene Arbeit als Stellen in den ärztlichen Stellenplänen abgezogen werden, machen die wenigeren Ärzt*innen die nicht von den PAs übernommenen Arbeiten. Da sie genau so viele Ärzt*innen weniger sind, wie Arbeit von den PAs abgenommen wird, findet netto keine Entlastung statt

Wenn diese Auswirkung auf die ärztlichen Stellenpläne zumindest im stationären Sektor schon enorm ist und durchaus wieder zu erheblichen Schwierigkeiten führen kann, überhaupt eine ärztliche Weiterbildungsstelle zu finden, so sind die Auswirkungen auf die konkrete ärztliche Weiterbildung womöglich noch grundsätzlicher.

Weiterbildung

Die Erhebung von Anamnesen und körperlichen Untersuchungsbefunden stellt eine ärztliche Grundkompetenz dar, die zu erwerben bereits heute für jüngere Ärzt*innen in Weiterbildung eine erhebliche Herausforderung darstellt. Werden diese Tätigkeiten und ihre Dokumentation in Zukunft regelmäßig von PAs übernommen, so wird der Erwerb dieser Grundkompetenz massiv behindert.

Die Erkennung von pathologischen Zuständen setzt die sichere Erkennung von Normalbefunden voraus. Die routinemäßige Erhebung einer großen Zahl von »unauffälligen« Anamnesen und körperlichen Normalbefunden ist somit die Voraussetzung für eine kompetente klinische Diagnosestellung. Die korrekte Diagnose ist die Voraussetzung für die Aufstellung eines Behandlungsplanes und von dessen Durchführung. Gleiches gilt für den Kompetenzerwerb in apparativer Zusatzdiagnostik, etwa in internistischen oder neurologischen Funktionsbereichen, die nach der oben gegebenen Tätigkeitsbeschreibung der Physician Assistants zu deren Tätigkeitsbild gehören.

Alle diese Tätigkeiten müssen sowohl den PAs als auch den ärztlichen Kolleg*innen vermittelt und der entsprechende Kompetenzerwerb überprüft werden, was typischerweise durch erfahrene Ärzt*innen erfolgt. Während die PAs nach entsprechendem Training diese Kenntnisse dann über einen längeren Zeitraum an ihrer Arbeitsstelle immer wieder anwenden können, werden ärztliche Weiterbildungsassistent*innen nach Ende ihrer Weiterbildung oder Rotation die Abteilung verlassen und durch neue Kolleg*innen ersetzt. Für ein Krankenhaus, eine Fachabteilung, auch eine Praxis im niedergelassenen Bereich, »lohnt« sich die Ausbildung von PAs unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten also deutlich mehr, da diese Kräfte, nachdem sie spezifisch weitergebildet sind, der Einrichtung erhalten bleiben, während der Weiterbildungsaufwand im ärztlichen Bereich mit jeder neuen Ärzt*in in Weiterbildung erneut geleistet werden muss. In dieser Konkurrenzsituation um Weiterbildungsressourcen können die betroffenen ärztlichen Kolleg*innen nur verlieren, auch dadurch, dass die ärztlichen Kolleg*innen durch den erforderlichen Freizeitausgleich bei gesteigerter Dienstbelastung in der Kernarbeitszeit (in der Weiterbildung in der Regel stattfindet) verstärkt nicht anwesend sind.

Eine besondere Betrachtung verdient die Weiterbildungssituation im operativen Bereich. Schon heute wird von Ärzt*innen in Weiterbildung in chirurgischen Disziplinen kritisiert, dass für die konkrete chirurgische Weiterbildung im Operationssaal ungenügend Zeit zur Verfügung steht. Die operative Assistenz, zumal bei komplexeren Eingriffen geht über das plakative »Hakenhalten« weit hinaus und ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die eine zeitintensive Unterweisung und Anleitung, sowie persönliches Training erfordert. Man denke hier zum Beispiel an mikrochirurgische Eingriffe oder auch komplexe endoskopische Prozeduren. Wenn im Op-Bereich nun Physician Assistants die Op-Assistenz regelmäßig übernehmen, muss dieses Personal zuvor von den erfahrenen operativ tätigen Fachärzt*innen genauso ausgebildet werden, wie sonst Ärzt*innen in Weiterbildung. Diese Zeit zur Ausbildung der PAs steht dann für die Ärzt*innen in Weiterbildung nicht zur Verfügung. Nach der Ausbildung der PAs wird das Interesse der Abteilung an der Ausbildung der Ärzt*innen nachlassen, da für die operative Assistenz durch die PAs nach einiger Zeit erfahrenes Personal langfristig zur Verfügung steht. Dies wird zusätzlich die Anzahl der von Ärzt*innen komplett durchgeführten Eingriffe während ihrer Weiterbildung reduzieren.

Zusammenfassung

Die breite Einführung des Berufsbildes des Physician Assistants unter den Bedingungen von Kostendruck und Konkurrenz der Leistungsanbieter wird das Berufsbild der Ärzt*in in allen Sektoren verändern. Dies gilt besonders für den Krankenhausbereich, wo Ärzt*innen in Weiterbildung sowohl in ihren Tätigkeiten, als auch in der Weiterbildung mit den PAs konkurrieren. Die Exposition von Ärzt*innen mit Patient*innen wird massiv reduziert, wenn der konkrete Kontakt mit Patient*innen von den, weniger gut bezahlten, PAs übernommen wird. Durch die Einarbeitung von PAs in Funktionsbereichen in Klinik und Praxis, sowie im OP, steht die dafür erforderliche Zeit für die Weiterbildung von Ärzt*innen nicht zur Verfügung. All diese Prozesse führen zu einer weiteren massiven Verschlechterung der ärztlichen Weiterbildung sowie zu einer Deakademisierung und auch Deprofessionalisierung des Arztberufes. Durch die zu erwartende Reduzierung von ärztlichen Weiterbildungsstellen in Klinik und Praxis wird sich mittelfristig der Facharztmangel verstärken. Es wird sich als ein schwerer politischer Fehler erweisen, dass Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung nicht darauf gedrungen haben, dass gegen die beschriebenen Entwicklungen politisch Vorkehrungen implementiert werden.

Julian Veelken ist Facharzt für Neurochirurgie und spezielle Schmerztherapie; er arbeitete viele Jahre als Oberarzt in der Neurochirurgie bei den Berliner Vivantes Kliniken, derzeit ist er angestellt in einem interdisziplinären MVZ; er ist Sprecher der FrAktion Gesundheit in der Ärztekammer Berlin.

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