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Gesellschaft und Gesundheitswesen friedenstüchtig machen!

Mit dem letzte Woche bekannt gewordenen Beschluss vom Rande des NATO-Gipfels, US-Langstreckenraketen nach Deutschland zu verlegen, steigt die Gefahr einer erneuten Eskalation und regionalen Ausweitung des Krieges in der Ukraine weiter an. Von russischer Seite wurden militärische Reaktionen angekündigt.

Die Anwendung militärischer Mittel, bis hin zu Kriegen und Invasionen wie die Russlands in der Ukraine, stellt seit Jahrzehnten eine katastrophale und entschieden zu bekämpfende Realität dar. Wir beobachten mit großer Sorge, wie seit einigen Jahren auch in Deutschland scheinbar leichtfertig Kriegsvorbereitungen getroffen werden und wie sich diese Entwicklung in alle Sektoren der Gesellschaft zieht. Am 5. Juni 2024 hat Bundesverteidigungsminister Pistorius bei einer Regierungsbefragung erklärt: „Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein … Wir müssen Abschreckung leisten, um zu verhindern, dass es zum Äußersten kommt“(1). Am gleichen Tag hat das Bundeskabinett unter der Überschrift „Veränderte Sicherheitslage in Europa: Bundesregierung stärkt militärische und zivile Verteidigung Deutschlands“ eine neue „Rahmenrichtlinie Gesamtverteidigung“ beschlossen, in der konkrete Anforderungen an die Vorbereitung eines Kriegsfalls benannt werden. Diese ersetzt die Rahmenrichtlinie aus dem Jahr 1989.

Es wird dort Folgendes angeordnet: „Mit den für die Gesundheitsversorgung der Bundeswehr zuständigen Stellen ist eng zusammenzuarbeiten. Die Mitwirkung aller Akteure des gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes, z. B. auch der Gesundheitsämter, bei der Planung ist sicherzustellen. Dazu wirken die gesetzlichen Berufsvertretungen der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und der Pflegeberufe, die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie die Träger der Einrichtungen der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung und ihre Verbände bei der Planung und Bedarfsermittlung mit und unterstützen die Behörden.“ Und: Nach Freigabe durch die Bundesregierung können die zuständigen Landesbehörden anordnen, dass „Einrichtungen der gesundheitlichen Versorgung ihre Leistungsfähigkeit auf die Anforderungen im Verteidigungsfall umzustellen, zu erweitern und ihre Einsatzbereitschaft herzustellen haben“.

Für die Vorbereitungen im Gesundheitswesen sollen die Länder laut neuer Rahmenrichtlinie „ergänzende Maßnahmen zur gesundheitlichen Versorgung im Verteidigungsfall … planen. Sie ermitteln insbesondere die Nutzungs-, Erweiterungs- und Ersatzmöglichkeiten (z. B. temporäre Behandlungseinrichtungen) der vorhandenen Einrichtungen und Dienste sowie den voraussichtlichen personellen und materiellen Bedarf. Dabei werden auch mögliche CBRN-Gefahren berücksichtigt.“ Mit CBRN sind chemische, biologische, radiologische und nukleare Gefahren gemeint.

Ärzt*innen und das Gesundheitswesen insgesamt werden die Bevölkerung nicht mit ein paar ergänzenden Maßnahmen vor radiologischen und nuklearen Gefahren schützen bzw. die durch diese entstandenen Verletzungen behandeln können.“, so Jürgen Seeger, Co-Vorsitzender des vdää*. „Wie wir in den aktuellen Kriegen sehen, ist die medizinische Infrastruktur bevorzugtes Ziel moderner Kriegsführung. Es ist also zu erwarten, dass in einem Krieg mit direkter Beteiligung der Bundesrepublik, gerade die nun vorbereitete enge Verzahnung des Militärischen mit dem Gesundheitswesen zu einer Bedrohung für die medizinische Versorgung wird.“, ergänzt Jürgen Seeger.

Wir sehen unsere Aufgabe als demokratische Ärzt*innen darin, über die unvermeidbaren und entsetzlichen gesundheitlichen Folgen von Kriegen aufzuklären, um diese einzudämmen oder zu verhindern. Wir wollen uns nicht an der Illusion beteiligen, dass ein Krieg mit direkter Beteiligung der Bundesrepublik beherrschbar oder gar zu „gewinnen“ sein wird und dass menschliche Schäden mithilfe von uns Ärzt*innen dabei in einem akzeptablen Maße gering gehalten werden könnten. Mit der Schaffung einer solchen Illusion und zynischen Kalkulation zur Beherrschbarkeit der gesundheitlichen Folgen bereitet die Bundesregierung den Boden für künftige Kriege. Wir wehren uns auch gegen die uns zugedachte Rolle, mithilfe unserer medizinischen Expertise ein Rädchen in der militärischen Maschinerie zu sein, die ärztliche Arbeit der militärischen Logik zu unterwerfen und Soldat*innen nur schnell wieder einsatzbereit zu machen und damit deren Nutzbarmachung für den Fortgang eines Krieges zu unterstützen.

Wir sagen Nein zur Kriegsvorbereitung, zu Aufrüstung und Unterwerfung des Gesundheitswesens unter das Militär! Die einzige Möglichkeit, Leid und Tod durch Kriege zu verhindern, ist Friedenssicherung. Wir fordern, alles dafür zu tun, die Gefahr eines Krieges kleiner und nicht größer zu machen. Dabei glauben wir nicht an die aktuell verfolgte Strategie der Abschreckung durch Kriegstüchtigkeit. Es mag naiv klingen, sich angesichts der harten globalen Konkurrenzkämpfe zwischen den großen Machtblöcken für eine Entspannung einzusetzen. Nur weil eine internationale Gegenbewegung zur Militarisierung zurzeit noch keine große Kraft entfaltet, heißt es für uns jedoch nicht, die Gewalt und das Gesetz des Stärkeren ohne Widerspruch hinzunehmen. Dazu braucht es Abrüstung, Demilitarisierung, internationale solidarische Vernetzung und Friedensarbeit auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen.

Wir rufen alle im Gesundheitswesen Beschäftigten auf: Lasst Euch nicht instrumentalisieren für die Vorbereitung eines Krieges, in dem wir nur Verlierer*innen sein können. Wir solidarisieren uns mit den Beschäftigten, insbesondere der Gesundheitswesen, in allen Ländern. Wir akzeptieren die Freund-Feind-Logik nicht und werden weiter auf internationale Solidarität aller Gesundheitsbeschäftigten, gerade auch mit denen, in potentiellen Kriegsgegner-Ländern Deutschlands, hinarbeiten. 

Nur internationale Solidarität wird uns vor der eskalierenden und national oder anderweitig ideologisch aufgeladenen Kriegslogik retten.

 

1) https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/newsletter-und-abos/bulletin/pistorius-befragung-regierung-2290860

(2) https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/sicherheit/RRGV.pdf?__blob=publicationFile&v=1

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