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Gemeinsame Stellungnahme von vdää*, DBfK und VdPP zum Apothekenreform-Gesetz

Das Apothekenreform-Gesetz (ApoRG) – Flickschusterei statt erfüllter Hoffnungen!

Apothekenreform-Gesetz bringt keine Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) in der Primärversorgung

Die vom Bundesgesundheitsministerium auf den Weg gebrachte Apothekenreform wird die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) für die erkrankten Menschen nicht verbessern. Qualitätsreduzierte Arzneimittelabgabestellen, wie sie jetzt mit Zweigapotheken und Filialapotheken im ApoRG angedacht sind, sind keine Lösung. Zur Verbesserung der AMTS werden stattdessen niedrigschwellige, patientenorientierte und dem Gemeinwohl verpflichtete Kompetenzzentren für die Arzneimittelversorgung der Menschen vor Ort gebraucht, in denen qualifizierte Apotheker:innen und PTA für AMTS tätig sind, eingebunden in interprofessionelle Teams der Primärversorgung und in lokale Public Health-Netzwerke.

Das geplante ApoRG wird zudem den Fachkräfte- und Nachwuchsmangel nicht beheben, wird das Apothekensterben in der Fläche nicht aufhalten und wird bestenfalls punktuelle kurze Atempausen durch interne Umverteilung von Finanzmitteln bewirken. Aber die vordringlichen Probleme einer qualifizierten Weiterentwicklung der Arzneimittelversorgung vor Ort durch Apotheken – niedrigschwellig, wohnortnah, interdisziplinär, mit Schwerpunkten in sozialen Brennpunkten und unterversorgten Gesundheitsregionen – kommen im ApoRG überhaupt nicht vor. Hier geht es ausschließlich um quantitative Fragen der Arzneimittelversorgung in der Fläche.

Hoffnungen auf eine multiprofessionelle Primärversorgung wurden enttäuscht

Qualitätsfragen, die auch die Arzneimittelversorgung mittelbar betreffen, wurden bis Anfang dieses Jahres vom Bundesministerium für Gesundheit mit dem Referentenentwurf eines Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) erwartet. Erste Vorentwürfe des Ministeriums für eine verbesserte Primärversorgung unter Einbeziehung von Kommunen und Gesundheitsfachberufen hatten beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), Verein demokratischer Ärzt*innen (vdää*) und Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) die Hoffnung geweckt, die von ihnen seit Jahrzehnten geforderte Gesundheitsstrukturreform könne jetzt endlich Wirklichkeit werden. Deren Kerngedanken einer umfassenden, multiprofessionellen Herangehensweise in der Gesundheitsversorgung im Sinne von Public Health – mit einer Aufwertung von Gesundheitsförderung und Prävention und mit verstärkter Betreuung und Beratung von Menschen in Quartieren mit besonderem Entwicklungsbedarf, bspw. durch Community Health Nurses (CHN) – sollten ursprünglich auch strukturprägend für die Angebote im Quartier/Kiez werden, so die Hoffnungen vieler. Die von Bundesgesundheitsminister Lauterbach in diesem Kontext damals vorgeschlagenen Primärversorgungseinrichtungen wie Gesundheitskioske und Gesundheitsregionen, die in einigen europäischen und außereuropäischen Ländern sowie in einigen Bundesländern längst erfolgreich arbeiten, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) für die Regelversorgung empfohlen wurden und die vom Sachverständigenrat im Gesundheitswesen als Gesundheitszentren seit 2009 propagiert werden, wurden nach den Vorentwürfen im Gesetzentwurf erwartet. Diese Erwartung wurde bitter enttäuscht. In einer gemeinsamen Stellungnahme vom April 2024 haben DBfK, vdää* und VdPP diesen Verzicht auf eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung kritisiert.[1]

Noch im März 2024 auf dem Armuts- und Gesundheitskongress in Berlin hatte Bundesgesundheitsminister Lauterbach unter Beifall versprochen, er werde für die Einrichtung der Gesundheitskioske kämpfen. Längst ist er vor der mächtigen Ärztelobby in die Knie gegangen. Mit der Nichtbeachtung der Gesundheitskioske als Anlaufstelle der Primärversorgung vor Ort wurde auch der erste Ansatz einer umfassenden ganzheitlichen Versorgung, der auch den Einsatz von Arzneimitteln betroffen hätte, zunichte gemacht.

Apothekenreform belässt es bei den berufsständischen Grenzen

Nun reiht sich auch die Apothekenreform ein in die Reihe der Flickschusterei im Gesundheitswesen. Der speziell nur für den Bereich der Arzneimittelversorgung durch Apotheken vorgelegte Entwurf des ApoRG enthält keinerlei Ansätze für eine patientenorientierte, interprofessionelle Teamarbeit in der Primärversorgung, sondern isoliert und zementiert die bestehenden Strukturen der Arzneimittelversorgung durch die Apotheken in den konservativen berufsständischen Grenzen. Eine bessere Integration pharmazeutischer Kompetenzen ist aber erforderlich und unverzichtbar, schließlich gehört die Pharmakotherapie zu den am häufigsten angewandten Behandlungsformen und bedarf deshalb der besonderen Aufmerksamkeit.

Verbesserte Arzneimitteltherapiesicherheit braucht interprofessionelle Teamarbeit

Schon heute sind 6,5 Prozent der Vorstellungen in Notaufnahmen auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen, also auf Schwachstellen bei der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS), zurückzuführen [2], und jährlich sterben wegen häufig unsachgemäßer oder falscher Medikation mehr Menschen als im Straßenverkehr. Die größten Risiken bestehen bei Menschen, die viele unterschiedliche Arzneimittel anwenden müssen, deren Verordnungen oft von verschiedenen Behandler:innen erfolgen, und die sich bei diesen entstehenden komplexen Medikationsregimen nicht selten allein gelassen fühlen. Multimorbidität im Alter und/oder im Pflegefall verschärfen diese Risikolage nochmals erheblich. Das ganze Ausmaß lässt sich schon heute im Rahmen von ambulanten Hausbesuchen von Pharmazeut:innen feststellen, die diese fast immer in ihrer Freizeit und unbezahlt durchführen.

Ein Weiteres kommt aufgrund des Klimawandels hinzu: Die vielen Hitzetoten der vergangenen Sommer im Rahmen der Klimakatastrophe zeigen einen bisher unerfüllten Handlungsbedarf intensiver Einzelbetreuung vor allem von vulnerablen Gruppen bei der Anpassung der Arzneimitteltherapie. Hier müssen pflegerische, pharmazeutische und medizinische Expertisen in Zukunft viel mehr als bisher ineinandergreifen.

Eine wirklich zukunftsweisende Apothekenreform muss vorrangig das Ziel verfolgen und die Voraussetzungen dafür schaffen, die Arzneimitteltherapiesicherheit zu verbessern durch effektive Nutzung aller Kompetenzen, so auch der niedrigschwelligen „Vor-Ort-Apotheken“. Ihre pharmazeutischen Dienstleistungen und Kompetenzen entfalten die größte Wirkung in enger Zusammenarbeit mit Kolleg:innen anderer psychosozialer, pflegerischer und medizinischer Disziplinen. Dass diese Form der umfassenden Betreuung und Begleitung dem Bedarf von Patient:innen nach Unterstützung und Hilfe bis hinein in das persönliche Wohnumfeld am ehesten entspricht, ist keine abstrakte Erwartung, sondern erlebbare Alltagserfahrung.

Ziele einer zukunftsweisenden Apothekenreform

Eine zukunftsweisende Apothekenreform muss zum Ziel haben, die Arzneimitteltherapiesicherheit zu verbessern. Dafür wesentlich ist eine optimale Nutzung der Apotheken und ihrer pharmazeutischen Kompetenzen in interprofessionellen Teams, idealerweise in einer am Gemeinwohl orientierten Struktur,

  • zur ortsnahen Versorgung, Beratung und Begleitung aller arzneimittelbedürftigen Patient:innen,
  • zur Betreuung älterer, multimorbider Patient:innen und deren Angehörigen bei ihren Arzneimitteltherapien (auch durch Hausbesuche) zur optimalen Nutzung von Arzneimitteln und zur Minimierung von Risiken,
  • zur Unterstützung der Behandler:innen beim Medikationsmanagement, vor allem in Zusammenarbeit mit Hausärzt:innen, und beim arzneimittelbezogenen Krankenhaus-Entlassmanagement,
  • zur Unterstützung und Beratung der Pflegefachpersonen, vor allem in der Langzeitpflege (ambulant oder in einer stationären bzw. teilstationären Einrichtung), zum Umgang mit Arzneimitteln, zur arzneimittelbezogenen Therapiebeobachtung, zur Anwendung von Arzneimitteln an den Patient:innen und ggf. in Zukunft zur Weiterverordnung von Arzneimitteln; dies sollte auch beim Aufbau von neuen Primärversorgungseinrichtungen oder bei Gesundheitskiosken mitbedacht werden,
  • als niedrigschwellige und vom Vertrauen der Bevölkerung getragene Anlaufstellen des Gesundheitswesens zur Unterstützung von örtlichen Public Health-Maßnahmen.

Beispiele, Lösungsansätze

  • Das Modellvorhaben von Apothekerkammern und KVen mit der AOK plus in Thüringen und Sachsen (ARMIN) zeigte als retrospektive Kohortenstudie ein verringertes Mortalitätsrisiko für Patient:innen, die in das Projekt eingeschrieben waren, im Vergleich zu Kontrollpersonen; es verbesserte zudem die Zusammenarbeit der beiden Heilberufe zur Stärkung der Versorgungsqualität für die beteiligten Patient:innen deutlich.[3]
  • Die S 3-Leitlinie Multimedikation der DEGAM beschreibt die unterschiedlichen Aufgaben beider Berufsgruppen (Ärzt:innen, Apotheker:innen) bei umfangreicher Pharmakotherapie.[4]
  • Das Land Niedersachsen schreibt in seinem Krankenhausgesetz vor, Stationsapotheker:innen in ausreichender Zahl als Beratungspersonen für arzneimittelbezogene Fragestellungen einzusetzen. Sie verbessern die Arzneimitteltherapiesicherheit und können sich an der Schulung von Ärzt:innen und Pflegefachpersonen beteiligen, unterstützen patientenindividuelle Betreuung der Patient:nnen und können bei der Aufnahme und bei der Entlassung von Patient:innen eingesetzt werden, insbesondere wenn Medikationsumstellungen vorgesehen sind.[5] Wie eine solche Zusammenarbeit auch im ambulanten Setting möglich ist, ist in angelsächsischen Ländern zu erkennen.[6]
  • Das Apothekengesetz schreibt den Apotheken, die einen Heimversorgungsvertrag mit einem Alten- und Pflegeheim abzuschließen haben, vor, den Pflegefachpersonen und den Heimbewohner:innen bei der Anwendung von Arzneimitteln zur Seite zu stehen und sie zu beraten. Außerdem sollen sie Schulungen für die Pflegefachpersonen durchführen und die Lagerbestände im Heim regelmäßig überprüfen. In der Realität zeigt sich, dass solche Vorgaben nicht ausreichen, sondern dass oftmals vermehrte Aktivitäten der heimversorgenden Apotheken notwendig wären. Da die finanziellen Anreize dafür aber nicht ausreichen, besteht hier noch Handlungsbedarf. Sinnvoll wäre es zudem, wenn auch vergleichbare Versorgungsverträge mit ambulanten Pflegediensten abgeschlossen werden könnten, was derzeit aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist.

Zur Bewältigung der heutigen und zukünftigen Herausforderungen brauchen wir niedrigschwellige wohnortnahe interprofessionelle Teams in der regionalen Gesundheitsversorgung, in die auch die Pharmazeut:innen aus den „Vor-Ort-Apotheken“ einbezogen werden müssen, um ihr Wissen rund um eine evidenzbasierte Pharmazie einbringen zu können. Das noch in der Ressortabstimmung befindliche Apothekenreform-Gesetz kann dazu keinen wirksamen Beitrag leisten.

DBfK, vdää* und VdPP verweisen zur Weiterentwicklung einer zukunftsfähigen, solidarischen und am Gemeinwohl orientierten Primärversorgung auf ihre gemeinsame Stellungnahme zum neuen Referentenentwurf eines Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) vom 8. April 2024, auf ihre Stellungnahme zur „Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung mittels Community Health Nurses als zentrale Akteure“ sowie auf das Positionspapier des VdPP zur Weiterentwicklung der ortsnahen Arzneimittelversorgung über Vor-Ort-Apotheken und eine verbesserte Einbindung pharmazeutischer Kompetenzen in eine zukünftige interdisziplinär ausgerichtete und patientenorientierte Primärversorgung.

Verein demokratischer Ärzt*innen, Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP)

Juli 2024

[1] DBfK, vdää* und VdPP: Gemeinsame Stellungnahme zum Referentenentwurf des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz vom 08.04.2024. Unter: https://www.vdaeae.de/wp-content/uploads/2024/05/Gemeinsame-Stellungnahme-GVSG-neue-Fassung-_vdaeae_vdpp_DBfK-05-05-2024.pdf

[2] Mirjam Martin: Patientensicherheit: Medikationsfehler vermeiden. Dtsch Arztebl 2022; 119(39): A-1632 / B-1362

[3] Meid A, Wirbka L, Moecker R et al: Mortalität und Hospitalisierungen von Patienten mit interprofessionellem Medikationsmanagement. Resultate der Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN). Unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/230667/Mortalitaet-und-Hospitalisierungen-von-Patienten-mit-interprofessionellem-Medikationsmanagement

[4] DEGAM: Hausärztliche Leitlinie Multimedikation, 2021. Unter: https://register.awmf.org/assets/guidelines/053-043l_S3_Multimedikation_2021-08.pdf

[5] Deutsches Ärzteblatt, 19. Mai 2022: „Stationsapotheker können dazu beitragen, die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern“. Unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/134204/Stationsapotheker-koennen-dazu-beitragen-die-Qualitaet-der-Patientenversorgung-zu-verbessern. Daniela Hüttemann: Klinische Pharmazie. Wie steht es um Apotheker auf Station? Pharm. Ztg. online, 20.12.2023. Unter: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/wie-steht-es-um-apotheker-auf-station-144374/seite/alle/?cHash=b04ec876653d1e63b9f1c00b18826239

[6] Pharmacypractice 2020: Primary health care policy and vision for community pharmacy and pharmacists in England. Unter: https://pharmacypractice.org/index.php/pp/article/view/1870/787. Auch Sachverständigenrat Gesundheit 2009: Unter: https://dserver.bundestag.de/btd/16/137/1613770.pdf, hier Seiten: 348-351, vor allem die Ziffern 761-764

Kontakt: referentin@vdpp.dewww.vdpp.de

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